Das Undenkbare ist passiert: Wenn selbst die CDU über Verteilung streitet
Jahrelang wurde uns erzählt, dass die deutsche Wirtschaft auf einem festen Fundament steht. Der „Wirtschaftsmotor Deutschland“ sei stark, der Wohlstand sicher. Doch das Narrativ bröckelt. Und es bröckelt aus einer Richtung, die viele nicht erwartet hätten: von der Spitze der Christdemokratischen Union.
Die Tatsache, dass sich nun selbst hochrangige CDU-Politiker wie Jens Spahn öffentlich zur wachsenden Ungleichheit in Deutschland äußern, ist ein Beben in der politischen Landschaft [1]. Lange Zeit galt das Thema Vermögensverteilung als exklusive Domäne der Linken. Der Grundsatz „Leistung lohnt sich“ wurde als Argument gegen jegliche Umverteilungsdebatte ins Feld geführt. Doch diese Haltung wird nun, angesichts der erdrückenden Fakten, unhaltbar.
Längst bekannt und lange ignoriert: Ein System am Abgrund
Eine Analyse der Hans-Böckler-Stiftung [2] legte bereits 2017 offen, was Jens Spahn jetzt erkannt hat: Die Verteilung der Vermögen ist in Deutschland extremer, als es die offizielle Debatte zulässt. Demnach besitzen die reichsten zehn Prozent der Haushalte mehr als 60% des gesamten Vermögens. Gleichzeitig verfügt die ärmere Hälfte der Bevölkerung über lediglich ein Prozent davon.
Das ist keine bloße Statistik. Das ist ein systemisches Versagen. Es ist der Beweis, dass unser Wirtschaftsmodell – das über Jahrzehnte den Mythos vom Wohlstand für alle kultivierte – nur für wenige wirklich funktioniert. Während die Vermögenden ihre Kapitalerträge wachsen sehen, kämpft die breite Mehrheit der Bevölkerung mit stagnierenden Löhnen und explodierenden Mieten.
Warum das CDU-Bekenntnis so besonders ist
Wenn ein führender Politiker einer Partei, die traditionell für Eigentum, Marktwirtschaft und gegen „sozialistische Experimente“ steht, zugibt, dass die Verteilung „nicht befriedigend“ ist, dann ist das mehr als eine rhetorische Kurskorrektur. Es ist die indirekte Einsicht, dass das bisherige Modell nicht mehr trägt.
Spahns Äußerungen sind ein Hinweis darauf, dass die Kluft in der Gesellschaft so tief ist, dass sie nicht länger ignoriert werden kann. Der soziale Frieden steht auf dem Spiel. Wenn die Mittelschicht, die das Rückgrat unseres Landes bildet, das Vertrauen in die Gerechtigkeit des Systems verliert, entsteht ein gefährliches politisches Vakuum. Dieses Vakuum füllt sich mit Wut, Frustration und der Bereitschaft, radikalen Parolen zuzuhören.
Die Debatte über Vermögensverteilung ist also keine ideologische Randfrage mehr, sondern eine Frage der Stabilität und des Überlebens unserer Demokratie. Es ist das Eingeständnis, dass die „unsichtbare Hand des Marktes“ es nicht geschafft hat, Gerechtigkeit zu schaffen. Im Gegenteil: Sie hat eine gefährliche und ungerechte Konzentration von Macht und Wohlstand geschaffen. Die CDU-Aussagen markieren den Moment, in dem selbst die größten Verfechter des Status quo die drohende Gefahr erkennen. Die Zeit des Schweigens ist vorbei.
Quellen
[1] Tagesschau (2025): Spahn: Vermögensverteilung nicht befriedigend.
[2] Hans-Böckler-Stiftung (2017): Wie sind die Vermögen in Deutschland verteilt?

