Der stille Krieg gegen die Mitte: Wie der Kapitalismus Deutschlands Familien ausblutet
Familie, Hausbau, Altersvorsorge – das sind die Säulen, auf denen die deutsche Mittelschicht ihr Leben aufbaut. Doch diese Säulen bröckeln. Nicht durch ein plötzliches Ereignis, sondern durch einen stillen, schleichenden Krieg, der an vielen Fronten gleichzeitig geführt wird: der Krieg des entfesselten Kapitalismus gegen die, die jeden Tag arbeiten und unser Land am Laufen halten.
Dieser Krieg wird nicht mit Panzern, sondern mit Bilanzen geführt. Und das Schlachtfeld ist das, was uns am nächsten ist: unser Zuhause.
Die Wohnungsnot: Der entstellte Markt
Lange wurde uns erzählt, der Markt regle alles. Die Wahrheit ist: Er regelt nichts. Er entstellt. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeichnet ein dramatisches Bild: Fast ein Drittel der Haushalte in den unteren Einkommensklassen, in denen mindestens eine Person arbeitet, zahlt eine Miete von mehr als 40 Prozent ihres Nettoeinkommens[1]. Immer mehr Familien und hart arbeitende Menschen werden obdachlos oder sind akut von Obdachlosigkeit bedroht[2].
Das ist keine wirtschaftliche Kennzahl. Das ist eine moralische Bankrotterklärung. In einem System, das Wohnen als Grundbedürfnis ansieht, wäre so etwas undenkbar. Aber in einem System, das Wohnen als Kapitalanlage versteht, ist es die logische Konsequenz. Der Mensch wird zur Nebensache, die Rendite zur Hauptsache. Großkonzerne und reiche Investoren kaufen sich Wohnblöcke wie Aktien. Der Wert einer Immobilie bemisst sich nicht mehr an der Qualität des Lebens, das sie ermöglicht, sondern am Profit, den sie abwirft. Für diese Investoren sind wir keine Mieter, sondern Zahlen in einer Excel-Tabelle. Unsere Sorgen sind für sie lediglich „externe Kosten“.
Mittelstand in der Zange
Bisher dachte der Mittelstand, dieses Problem betreffe nur die Einkommensschwachen. Ein gefährlicher Irrglaube. Die steigenden Mieten und Immobilienpreise machen auch vor den oberen Einkommensgruppen nicht Halt. Diejenigen, die sich jahrelang einsparen, um sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen, sehen diesen Traum nun zerplatzen. Die Preise sind so exorbitant, dass die Finanzierung mit einem normalen Angestelltengehalt, selbst mit zwei Gehältern, kaum mehr möglich ist. Sie sind gezwungen, in immer schlechtere Lagen auszuweichen oder ihre Träume ganz zu begraben.
Dieser Zustand ist das Resultat einer Politik, die sich dem Kapital unterworfen hat. Eine Politik, die Eigentum nicht als Verpflichtung zum Gemeinwohl sieht, sondern als Freifahrtschein für die Spekulation.
Der drohende Kollaps der Mitte
Diese Krise ist mehr als eine wirtschaftliche Herausforderung. Sie ist eine tickende Zeitbombe für die soziale Stabilität. Wenn die Leistungsträger einer Gesellschaft – die Facharbeiter, die Krankenschwestern, die Lehrer, die Handwerker – sich ihr eigenes Leben nicht mehr leisten können, erodiert das Vertrauen. Das Vertrauen in den Staat, die Politik und die Demokratie.
Das Resultat ist eine massive Frustration, die sich in Verzweiflung, Wut und politischer Radikalisierung äußert. Wir sehen diese Entwicklung bereits in der Zersplitterung der Parteienlandschaft und dem Aufstieg von politischen Strömungen, die die Frustration der Menschen für ihre eigenen Zwecke missbrauchen. Der „stille Krieg“ gegen die Mittelschicht droht, unser gesamtes gesellschaftliches Fundament zu erschüttern.
Wir müssen begreifen, dass dieser Zustand nicht normal ist. Er ist die Folge eines Systems, das nicht funktioniert, weil es ungerecht ist. Die Wohnungsnot ist kein unvermeidbares Schicksal, sondern ein politisch gewolltes Ergebnis. Es ist an der Zeit, dass wir uns wehren und die Lufthoheit über unseren eigenen Wohnraum zurückerobern.
Quellen:
[1] WSI-Verteilungsbericht 2024, Hans-Böckler-Stiftung
[2] „Wohnungsnot betrifft zunehmend Erwerbstätige“, Tagesschau, 21.08.2025

